Sagen in der Kunst- & Handwerksstrasse der Region Urfahr-West

Sage um die Zerstörung von Lichtenhag (Das letzte Fräulein von Eidenberg)
Autor: Leopold Sieß



Vor gerade 500 Jahren war eine unruhige Zeit auf ihrem Höhepunkt. Drüber der Donau war die Sekte der Waldenser erledigt worden. Zu Steyr hat man hundert verbrannt, viele mit lebenslänglichem Kerker bestraft oder mit einem Kreuz als Schandmal gebrandmarkt. Pest, Überschwemmungen, Hungersnöte und Teuerung hatten das Land heimgesucht. Der Zwist unter den habsburgischen Herzögen hatte eine Rechtsunsicherheit geschaffen, in der das Faustrecht blühte und sich jeder als selbständiger Herrscher fühlte.

Im Mühlviertel wurde nach dem Beispiel König Wenzels und nicht allein bei den Einfällen der Hussiten „requiriert“ und geplündert. Es gab fast keine Burg, die nicht zur Raubritterfeste herabgesunken war. Auch auf Lichtenhag bei Gramastetten dürften damals Raubritter gehaust haben, was aber „böhmische Räuber“ nicht daran hinderte, die Feste zu plündern und niederzubrennen. Erst nach vielen Jahren wurde diese Burg von neuen Herren heimgesucht und aufgebaut und nach einigen Jahrzhenten abermals zerstört. Am Anfang des 17. Jh. war Lichtenhag jedenfalls schon Ruine.

Die Sage berichtet anders. Sie stellt einen Räuberhauptmann mit Namen Tiege fest, der weit und breit gefürchtet war und sein Raubnest auf Lichtenhag hatte. Er war Herr über Leben und Tod für alle, die seinen Bereich betraten. Die armen leibeigenen Bauern haßten ihn nicht minder als die Ritter der Nachbarburgen, welche er ebenfalls ständig bedrohte. Das letzte Fräulein von Eidenberg beschloss einst, ihr Gelübde, eine Reise ins heilige Land, zu erfüllen. Zur Aussprache über ihr Testament nahm sie den Weg über Rottenegg, auf welcher Burg ihre nächsten Verwandten saßen.

Vergeblich warnte sie ihr Kaplan, entlang der Rodel zu reiten, wo Tiege in der Klamleiten den Weg unsicher machte. Tieges Knechte lauerten an allen Straßen. So leichte und schöne Beute hatten sie noch nie erhascht wie diesmal. Der Kaplan versuchte, sein Beichtkind zu schützen. Er wurde kurzerhand erschlagen. Das schöne Fräulein lieferten die Wegelagerer ihrem Herrn aus, der sich gleich Hals über Kopf in die junge Unschuld verliebte und sie bat, seine Frau zu werden. Sie aber lehnte ab. Kein Beteuern und Beschwören seiner Liebe half. Die Pilgerin blieb auch gegen jede Drohung hart, durch die Tiege schließlich das JA-Wort erzwingen wollte. Das reizte den verschmähten Räuber zu maßloser Wut. Er ließ die Gefangene vom Söller, von dem aus es fast senkrecht in die Tiefe ging, ins Tal der Rodel stoßen.

Gleich darauf zog sich ein gewaltiges Gewitter zusammen. Der erste Blitzstrahl fuhr in die Burg und erschlug Tiege. Ein Gefolgsmann der Ermordeten war nach Rottenegg geflohen, die Verwandten zu Rache aufzurufen. Wer nur eine Waffe tragen konnte, eilte gegen Lichtenhag, wo über den Tod des vom Himmel erschlagenen Herrn größte Verwirrung herrschte. Mühelos wurden alle Raubgesellen ausgehoben und an die nächsten Bäume geknüpft, die Burg selbst aber brannte bis auf die Mauern nieder.


aus Sieß Leopold, Sagen aus dem oberen Mühlviertel